Es war eine Forderung ganz nach deutschem Geschmack: "Kühe brauchen Wasser, Rüben, Gras und Getreide - sonst nichts", verkündete Verbraucherministerin Renate Künast in ihrer Regierungserklärung im Februar. Seitdem hat sie vehement ein Verbot des Tiermehls in der Europäischen Union gefordert. Nötig sei ein "Reinheitsgebot im Umgang mit den Tieren, die wir verzehren".
Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) hat sich erst gestern für ein dauerhaftes Verbot der Tiermehlverfütterung ausgesprochen.
Auf einem Symposium der Landesregierung zum Thema Landwirtschaft warnte Simonis davor, nach dem "heilsamen Schock" durch BSE nun wieder zur Tagesordnung überzugehen. Doch auch ohne Tiermehl ist das Fleisch von Rindern, Schweinen und Hühnern längst nicht mehr unbedenklich: Ihr Futter enthält zu großen Teilen genetisch manipulierte Soja. Während der Verbraucher darauf achtet, gentechnikfreie Cornflakes und Tofu zu kaufen, sind die Milch und die Steaks möglicherweise voll davon. "Eine tickende Zeitbombe" nennt der Agrarexperte des BUND, Hubert Weiger, die heimliche Gengefahr aus dem Regal. Denn anders als beim Tiermehl sind die Fütterungswege bei der Gensoja kaum nachzuvollziehen.
Das Tiermehlverbot als Folge von BSE hat die Frage nach Gentech im Futter verschärft. Seit Januar fehlen den deutschen Bauern plötzlich 400.000 Tonnen Eiweißfutter. Um die zu ersetzen, haben die Futtermittelhersteller den Import von Sojabohnen aus den USA, aus Argentinien und Brasilien erhöht. "Von den jährlich etwa 20 Millionen Tonnen Mischfutter in Deutschland sind 5 Millionen Tonnen aus Soja", sagt Peter Radewahn vom Deutschen Verband Tiernahrung. "Und bei Soja aus den USA und Argentinien muss man unterstellen, dass sie genmanipuliert ist."
Sechs Monate nach dem Tiermehlverbot befürchten Umweltschützer und Agrarexperten nun erneut BSE-ähnliche Zustände. "Wieder wissen die Bauern nicht, was sie füttern", so Hubert Weiger vom BUND. "Die Industrie verkauft ihnen das Futter. Und wenn die Verbraucher für diese Probleme sensibilisiert werden, steht wieder der Bauer am Pranger." Auch Lutz Ribbe, Agrarexperte des Umweltverbands Euronatur, warnt: "Fleisch wird schon jetzt massiv mit Genprodukten erzeugt." Einzig bei den Produkten der Ökobauern kann sich der Verbraucher sicher sein: Nach deren Richtlinien ist Gentechnik ausdrücklich verboten, das Futter kommt zu mindestens 90 Prozent vom eigenen oder von anderen Biohöfen. Der konvetionelle Rest, den der Biobauer im Ausnahmefall zukaufen darf, wird vom Anbauverband überprüft.
Das Verbraucherministerium rührt nicht an dem heiklen Thema. Während die "rote Gentechnik", die Forschung am Menschen, derzeit heiß diskutiert wird, blüht die "grüne Gentechnik" im Verborgenen. Eine einzige Presseerklärung zum Thema Gentechnik findet sich auf der Homepage des Verbraucherministeriums, seit Renate Künast Ministerin ist. "Keine schlafenden Hunde wecken" ist auch die Devise des Kanzleramtes. Als dort im Frühjahr ein Konzept für die Agrarwende erstellt wurde, strichen die Kanzlerberater das Verbot der Gentechnik aus dem Entwurf. In den 28-seitigen "Vorschlägen für eine verbraucherorientierte Neuausrichtung der Agrarpolitik" wird der Wechsel in der Agrarpolitik bis hin zum Konsumverhalten von Arbeiterfamilien diskutiert - aber kein Wort zum Thema Gentechnik verloren.
Selbst wenn sie nur ungern Gentech füttern - die europäischen Bauern haben bisher kaum eine Wahl. Denn ihre Turbokühe und Superschweine brauchen den Eiweißtreibstoff aus dem Rest der Welt. Die EU deckt nur etwa ein Drittel ihres Futterbedarfs aus Europa, deshalb schlug im April der Wirtschafts- und Sozialausschuss des Europäischen Parlaments Alarm: "Dieser Abhängigkeitsgrad gibt Anlass zur Besorgnis über die Sicherheit der Viehhaltung." In jedem Jahr nehme der Verbrauch von Eiweißpflanzen für Futtermittel um 4 bis 5 Prozent zu und "es könnte zu einer Verknappung der Versorgungsmöglichkeiten kommen". Die Abhängigkeit der EU vom Weltmarkt rächt sich beim Genfutter: Denn Europa muss nehmen, was es kriegen kann. Und das ist immer seltener genfreie Soja (siehe Kasten links). Knapp 42 Millionen Hektar Ackerfläche werden weltweit mit Gensoja bepflanzt, ein Großteil davon ist manipuliert. Kritiker vermuten hinter der ungebremsten Verbreitung von gentechnisch veränderter Soja eine Absicht: Wenn die Genpflanzen erst einmal überall verteilt seien, werde es keinen Widerstand dagegen mehr geben.
Unternehmen wie der US-Konzern Monsanto haben Milliarden Dollar investiert, um die Entwicklung und Verbreitung von genetisch veränderter Soja voranzutreiben. Ein vernichtendes Fazit dieser Investitionen zieht die Studie "Ökonomische Auswirkungen von Genpflanzen auf den Agrarsektor" der EU-Kommission. Demnach gibt es "keine nachprüfbaren Hinweise darauf", dass Genpflanzen für die Bauern profitabler als normale Pflanzen sind. "Die Verbreitung des Genfoods führt vor allem dazu, neue Absatzmärkte für die Pestizide der Konzerne zu schaffen", meint Lutz Robbe von Euronatur.
Einzig Brasilien bleibt noch hartnäckig. Dort ist der Anbau von genmanipulierten Pflanzen verboten. Das Land sichert sich damit einen Markt in Europa. Doch der Druck aus den USA nimmt zu. Sollte Brasilien nachgeben und seine Grenzen für Gensoja öffnen, stünde die EU im Regen. Dann wäre das gesamte importierte Futter genmanipuliert. "Deshalb müssen wir weg von der Weltmarktorientierung", sagt der BUND-Experte Weiger. Für die Umweltschützer ist es Irrsinn, Futtermittel zu importieren und Lebensmittel hoch subventioniert zu exportieren und damit die Entwicklungsländer zu belasten. Vor allem müssten "die Betriebe ihre Tiere selbst ernähren können, das ist der erste Schritt zur Abkehr vom Weltmarkt", so Weiger.
Kurzfristig gibt es keine Lösung für das Problem. Selbst wenn es genug genfreie Soja gäbe, würde eine Umstellung bisher an der Logistik scheitern, sagt Peter Radewahn: "Um Verunreinigungen zu vermeiden, müsste man eine vollständig getrennte Logisitikkette aufbauen", meint der Experte für Tiernahrung. "Das brauchte eine Marktmacht, die wir nicht haben." 5 Millionen Tonnen Soja für Deutschland stehen 155 Millionen Tonnen weltweit gegenüber.
Manch ein Betrieb schafft es trotzdem, sich genfreie Soja zu organisieren. Ausgerechnet der Hühnermastkonzern Wiesenhof etwa wirbt mit einer "in Europa einzigartigen Prüfkette", die "seit Oktober 2000 mit intensivem Prüf- und Kostenaufwand" den Einsatz von Gensoja verhindert. Für so viel Sorge um das Wohl der Tiere und Verbraucher ist Wiesenhof sonst nicht bekannt. Mit seinen 700 Betrieben und einem Marktanteil von fast 50 Prozent bei Masthähnchen gilt das Unternehmen als der Inbegriff der Agrarindustrie (taz, 03. Juli 2001).