Früher arbeitete Renate J. als Raumpflegerin. Hängte ihren Job dann für Kinder und Küche an den Nagel. 20 Jahre lang war sie die liebe Mutti, ihr monatliches Salär zahlte das Lübecker Sozialamt. 580 Mark pro Monat, so rechneten die strengen Beamten, sollten für Essen, Kleidung und Strom genügen.
Ihr Gewicht liegt 80 Prozent über dem Idealgewicht, zudem leidet sie an Diabetes. "Nicht arbeitsfähig", diagnostizierte die Ärztin beim Gesundheitsamt. Jetzt reicht es, konterten die Lübecker Behörden. Und schickten einen Diät-Befehl: "Ihre Beschwerden würden durch eine Reduzierung des Gewichts verbessert und damit auch der Umfang ihrer Arbeitsfähigkeit."
"Wir handeln nur nach dem Sozialgesetzbuch," erklärte Mathias Erz vom Sozialamt Lübeck gegenüber SPIEGEL ONLINE. Und das sehe im Krankheitsfalle des Sozialhilfeempfängers eine Behandlung vor. "Die Frau ist krank und ihr starkes Übergewicht spielt eine erhebliche Rolle." Es sei nicht einzusehen, warum sie nicht auch etwas leisten soll für die empfangenen Leistungen. Wäre sie Alkoholikerin, müsste sie sich auch therapieren lassen.
Jeden Monat muss sie sich nun beim Arzt wiegen lassen. Das aktuelle Gewicht geht ans Sozialamt. Zeigt die Waage zu viel, wird die Sozialhilfe gestrichen. "Jeder Mensch, der so aussieht wie ich, möchte abnehmen", erklärt Renate J. - "aber nicht unter Zwang!" (Spiegel online, 07. November 2001)